Impact für die Wissenschaft am Beispiel „Silicon Valley“

Konstruktive Effekte fiktionaler Formate auf wissenschaftliche Forschungen und Entwicklungen sind verschiedentlich nachgewiesen. Sie reichen von der Vorwegnahme technologischer Entwicklungen bis zur Überführung zunächst fiktional gedachter Forschungsgegenstände in tatsächliche reale Forschungsprojekte.

Ein aktuelles Beispiel für den Einfluss eines zunächst fiktionalen Konzepts in der Realität ist der „Weissman-Score“, ein Algorithmus zur Messung von Kompressionraten, der eigens für die HBO-Serie „Silicon Valley“ erfunden wurde. Sein Urheber ist Dr. Tsachy Weissman, Professor für Elektrotechnik an der Stanford University und Experte für Kompressionstechnologie. Der Weissman-Score wurde zwar von ihm und seinem damaligen Studenten Vinith Misra für die Serie entwickelt, er ist aber dennoch nicht fiktiv, sondern funktioniert. Auch wenn der Algorithmus selbst mit dem heutigen Stand der Technologie-Entwicklung nicht umzusetzen ist, kann er als Ranking-System auch in der Realität funktionieren.

Darüber hinaus führte Tsachy Weissmans Tätigkeit als wissenschaftlicher Berater von „Silicon Valley“  zur Gründung des Stanford Compression Forum, einer Kooperation führender Köpfe aus Wissenschaft und Industrie im Bereich der Datenkompression.

Im Jahr 2016 war Dr. Weissman zu Gast auf der internationalen MINTEEE-Konferenz „Science meets Fiction“ in Berlin. Bei dieser Gelegenheit entstand das folgende Interview.

MINTEEE: Wie sind Sie mit der Sitcom „Silicon Valley“ in Berührung gekommen?

 TSACHY WEISSMAN: Mein erster Kontakt mit der Serie kam über Jonathan Dotan, den technischen Berater von „Silicon Valley“, der für die Authentizität der gesamten Serie verantwortlich zeichnete, und das nicht nur in technischer Hinsicht. Als Jonathan mit mir Kontakt aufnahm, hatten die Showrunner bereits eine grobe Vorstellung davon, was sie suchten: Sie wollten etwas aus ihrer Sicht „Esoterisches“, etwas, das das Laienpublikum weder kennt, noch interessiert. Sie suchten etwas, das so uninspirierend sein sollte, wie es nur geht. Nach einigen Recherchen kamen sie zu dem Schluss, dass das Thema „Komprimierung“ dieser Anforderung entspricht, und sie kontaktierten mich, weil sie herausgefunden hatten, dass die Basis für Komprimierung und auch für digitale Kommunikation die Informationstheorie ist. Sie schickten mir also eine E-Mail. Und obwohl ich normalerweise keine E-Mails von Leuten beantworte, die ich nicht kenne, fiel mir diese dieses Mal irgendwie auf und ich habe sie beantwortet.

MINTEEE: Hatten Sie vorher schon einmal Kontakt ins Showbusiness? Waren Sie ein Fan von TV-Serien?

 TSACHY WEISSMAN: Weder, noch. Es war das erste Mal, dass jemand aus dieser Sphäre sich an mich wandte. Und eigentlich, nein, ich habe mir auch keine Fernsehserien angesehen. Aber ich bekam diese E-Mail und plötzlich schien es interessant zu sein. Jonathan stellte sich selbst als jemand von HBO vor und so wusste ich, dass es ernst war. Er schrieb über die Prämisse der Serie: Ein Start-up im Silicon Valley, das an etwas ganz „Esoterischem“ im Bereich der Datenverarbeitung arbeitet. Wir tauschten Ideen aus und am Ende entschieden sie, Kompression sei das Vielversprechendste.

MINTEEE: Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit?

 TSACHY WEISSMAN: Sie wollten jemanden haben, der sie in technischen und mathematischen Fragen berät und Ideen einbringt. Außerdem wollten sie von Anfang an sicherstellen, dass diese Ideen wissenschaftlich und mathematisch fundiert sind. Heute kümmern sich die Zuschauer mehr als früher um Details und Genauigkeit, vor allem die „geeky experts“. Ich denke, „The Big Bang Theory“ hat die Kultur der Screenshots und der Diskussionen von Geeks über Solidität und Korrektheit begründet. Also im Wesentlichen wollten die Macher von „Silicon Valley“, dass die technischen Details in Ordnung sind. Der Großteil der eigentlichen Arbeit am Drehbuch und am Set wurde dann unter meiner Aufsicht von meinem damaligen Doktoranden Vinith Misra erledigt. Im Rahmen dieser Tätigkeit erfand Vinith den „Weissman Score“. Das Team wollte etwas, das total geekig und esoterisch war, aber gleichzeitig brauchten sie dramaturgisches Potenzial und etwas, das im Kontext der Kompression quantifizierbar war. Der „Weissman Score“ ist eine Formel zur Bewertung der Leistung eines Kompressionsprogramms. Er wurde für einen sportlichen Moment, für eine Konkurrenzsituation im Rahmen der Geschichte geschaffen, aber inzwischen wurde er von einigen Wissenschaftlern übernommen. Studierende, die an Kursen über Kompression teilnahmen, erhielten Aufgaben, bei denen die Leistung nach dem „Weissman Score“ bewertet wurde. Technisch gesehen hat Vinith also im Rahmen seiner Arbeit an der Serie Ideen wie den „Weissman Score“ und den „Middle-out-Algorithmus“ entwickelt, die das Potenzial haben, sich damit wissenschaftlich auseinanderzusetzen. Nicht nur die Wissenschaft hat also der Serie geholfen, sondern es entstand auch aus der Serie ein bisschen neue Wissenschaft.

Eine weitere wichtige Sache für die wissenschaftlich-akademische Dimension, die aus der Serie hervorging, war die Gründung des „Stanford Compression Forum“. Einen großen Anteil an der Entwicklung dieses Zentrums schreibe ich der Arbeit an der Serie und vor allem dem Austausch mit Jonathan Dotan zu.

Dotan hatte im Übrigen das Gefühl, es gebe eine kulturelle und begriffliche Kluft zwischen Wissenschaftlern und Praktikern im Bereich der Informationstheorie bzw. Kompression. So hat er letztlich geholfen, uns alle miteinander zu vernetzen, und wir haben dann ein Event in Stanford veranstaltet, ein sehr interessantes Event, nämlich das erste überhaupt, in dem sich die akademische Welt, die High-Tech-Industrie und die Entertainment-Industrie zusammengesetzt haben. So etwas passiert nicht alle Tage. Danach gab es noch ein weiteres Treffen, inzwischen treffen wir uns einmal im Jahr.

MINTEEE: War das Ganze für Sie eine Art Aufeinanderprallen zweier Kulturen?

 TSACHY WEISSMAN: Meine eigentliche Tätigkeit vollzog sich meistens ziemlich abseits der Serie. Aber die Gelegenheiten, an denen es zum Austausch mit der Serie selbst und vor allem mit Jonathan Dotan kam, waren sehr angenehm.

MINTEEE: Ist Akkuratheit Ihrer Erfahrung nach ein Thema für „Silicon Valley“ und die Macher? Ist die Serie realistisch?

 TSACHY WEISSMAN: Es ist beängstigend, wie realistisch „Silicon Valley“ ist. Die Serie ist in zweierlei Hinsicht hyperrealistisch: Die eine ist die Wissenschaft, die andere das Einfangen der spezifischen „Silicon Valley“-Kultur. Da ich beides aus meiner Lehrtätigkeit in Stanford kenne, empfinde ich es als unwahrscheinlich realistisch.

MINTEEE: Was denken Sie grundsätzlich über Akkuratheit in der Unterhaltung? Und über das Maß dafür?

 TSACHY WEISSMAN: Ich denke, es hat etwas sehr Überzeugendes, wenn die Details stimmen, sowohl im Kulturellen wie auch im Technischen. Der Umstand, dass ich engagiert wurde, erwuchs ja aus dem Wunsch nach technischer Genauigkeit. Anfangs hatte ich das Gefühl, es könnte eine gute Gelegenheit sein, einige der „esoterischen“ Dinge, mit denen ich mich beschäftige, ins Rampenlicht zu stellen. Aber als ich dann sah, wie ernsthaft interessiert, engagiert und offen die Macher der Serie waren und wie sie sich bemühten, unseren Input in der Serie unterzubringen, steigerte das natürlich unsere Motivation. Die Tatsache, dass es technisch realistisch war, war die Motivation schlechthin. Auf der anderen Seite gab es den Einfluss der Serie auf mich selbst. Weil sie über die praktischen Anwendungen Bescheid wissen wollten, weckte meine Beteiligung an der Serie meinen Appetit auf die Anwendungsmöglichkeiten, die praktischeren Seiten der Kompression, wie z. B. die genomische Datenkompression. Außerdem bin ich durch die Arbeit an der Serie überhaupt erst auf die Existenz von TV-Serien aufmerksam geworden.

MINTEEE: Können Sie sich vorstellen, auch weiterhin für TV-Produktionen zu arbeiten?

 TSACHY WEISSMAN: Das nächste Mal, wenn Fernsehmacher meine Beteiligung wünschen, dann werde ich offen dafür sein. Ich war beeindruckt, wie groß das Interesse der Macher von „Silicon Valley“ an allen technischen Details war und in welchem Maß wir Einfluss auf die Serie nehmen konnten. Im Wesentlichen nahmen sie ja alles, was Vinith ihnen vorschlug, mit beiden Händen an. Und wir selbst waren in der Lage, einige Dinge populärer zu machen, Teile der Geek-Kultur etwa wie „Lena“ (das Playboy-Model-Testbild) oder den Huffman-Kompressionsalgorithmus. Das zog Studenten an, die früher an peripheren Bereichen der Kompression gearbeitet hatten und die sich nun für die Kernprobleme, das theoretische Feld, interessierten. Jedenfalls, falls ich einmal ernsthaft darüber nachdenken sollte, wie man Öffentlichkeit herstellt, dann ist dies ein effektiver Kanal.